Jüdische Genforschung führt zu merkwürdigen und umstrittenen Froschungsvorhaben: von Indien bie Portugal
Judische Zeitung, 13-7-2012
Ist
«jüdische Genforschung» eine Wissenschaft? «Nein, das ist politisch
motivierter Humbug», sagen die einen. Genauso wenig, wie es ein
buddhistisches, christliches oder muslimisches Gen gibt, gibt es ein
jüdisches. Die «jüdische Genforschung» soll, so die Kritiker, einzig
dazu dienen, neues Menschenpotential für die zionistisch motivierte
Einwanderung nach Israel liefern, um dort im «Wettlauf gegen die
palästinensische Gebärmutter» bessere Chancen im Kampf um die
jüdischstämmige Mehrheit im Land zu wahren. «Falsch», sagen die anderen,
und verweisen auf die weltweit große Akzeptanz und Beliebtheit der
Disziplin. Nicht zuletzt im Einwandererland USA sei es gang und gäbe, so
die Verteidiger, seine Wissbegierde über die in der ganzen Welt
verstreute Verwandtschaft und die Vorfahren anhand von Genanalysen zu
stillen. In Europa, vor allem in Deutschland, hat die Überprüfung der
«genetischen Herkunft» naturgemäß etwas Anrüchiges: War es doch eine
Verquickung von Naturwissenschaft und Politik, die die Rassenlehre der
Nazis begründete.
Den Kritikern zum Trotz geht die
emsige Suche mehr oder minder seriöser Genforscher nach den «jüdischen»
Genspuren weiter. Kürzlich hat die Forschung in den hintersten Winkeln
der Erde dabei besonders skurrile Formen angenommen. Eine indische
Genetikerin soll jetzt im offiziellen Auftrag Israels die Verbindung
zwischen dem in der indischen Region Lucknow im Bundesstaat Uttar
Pradesh beheimateten Stamm der Afridi Paschtunen und den so genannten
«Verlorenen Stämmen» Israels, die sich vor tausenden von Jahren in ganz
Asien angesiedelt haben sollen, untersuchen. Dies berichtete die «Times
of India» Mitte Januar. Die mit der Forschung beauftragte
Wissenschaftlerin Shahnaz Ali arbeitet im israelischen Haifa mit der
renommierten Technion Universität zusammen, dem israelischen Institut
für Technologie.
Einige Experten schreiben Israels
Entscheidung, diese Studie zu finanzieren, der verbreiteten Annahme zu,
wonach die Paschtunenkrieger Afghanistans und Pakistans - die von der
USA und der NATO als Terroristen bekämpften Taliban - aus den Afridi
Paschtunen hervorgegangen sind. Auch wenn Spekulationen über eine tief
verwurzelte Verbindung zwischen diesen, dem Anschein nach, in keinem
Zusammenhang stehenden Völkern wiederholt angestellt wurden, so ist dies
doch das erste Mal, dass Israels Außenministerium sich bereit erklärt
hat, Forschungsarbeiten für die irrwitzige Suche nach den «verlorenen»,
jüdischen Wurzeln bei den Paschtunenstämmen zu finanzieren.
Auswirkungen auf muslimisch-jüdische Beziehungen?
Genetisch Verwandte? Paschtunische Taliban in Afghanistan Ende Oktober 2009. Foto: Reuters |
Der
indischen Genforscherin Ali sind die politischen Motive egal. Sie
analysierte bisher gesammelte Blutproben der Afridi Paschtunen aus der
Kleinstadt Malihabad, um eine jüdische Abstammung nachweisen zu können.
In einem Interview mit der «Times of India» sagte Dr. Navras Aafreedi,
Forscher auf dem Gebiet der indo-jüdischen Wissenschaften und in Indien
einer der ersten Befürworter der Theorie einer gemeinsamen Herkunft:
«Malihabad im Bezirk Lucknow ist das einzige Paschtunengebiet, das für
die an den mutmaßlich israelitischen Ursprüngen der Paschtunen
Interessierten, sicher und einfach zugänglich ist. DNS-Proben in
Afghanistan oder den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung an der
Nordwestprovinz Pakistans zu sammeln, wo die Mehrheit der Paschtunen
lebt, ist sicherlich nicht möglich», sagte Aafreedi mit Blick auf die
angespannte Sicherheitslage in der Region und die Gefahren für das
Forscherteam. Die wenigen Paschtunen, die heute noch in Indien ansässig
sind, findet man hauptsächlich in Orten wie Malihabad in der Nähe von
Lucknow und Qayamganj in Farruchabad, beides im Bundesstaat Uttar
Pradesh. Sie alle sind Teil der wissenschaftlichen Studie Aafreedis.
«Shahnaz
Untersuchung wird von großer Bedeutung sein, wenn sie eine genetische
Verbindung zwischen Paschtunen und Juden nachweisen kann. Denn das
könnte als wissenschaftliche Bestätigung des althergebrachten Glaubens
an die israelitische Abstammung der Paschtunen gelten und interessante
Auswirkungen auf die muslimisch-jüdischen Beziehungen haben.», wie
Aafreedi der «Times of India» erklärte.
Dafür muss man
die religiöse Überlieferung kennen, an der viele gläubige Juden,
Christen und Muslime keine Zweifel hegen. Die Paschtunen, so will es die
Tradierung, sollen Nachkommen des jüdischen Stammes Ephraim sein, einem
von zehn israelitischen Stämmen des im 8. und 9. Jahrhunderts v.d.Z.
existierenden Nordreiches «Israel» im Nahen Osten. Von dort sollen sie
721 v.d.Z. von assyrischen Angreifern vertrieben worden sein. Einige
Nachfahren dieser «Verlorenen Stämme» sollen sich zwischen 1202 und 1761
u.Z., also satte 2.000 Jahre später in Indien niedergelassen haben,
darunter auch die Afridi Paschtunen von Malihabad.
Laut
Aafreedi sind die indischen Afridi Paschtunen, auch wenn sie behaupten,
israelische Wurzeln zu haben, Israel genauso feindlich und
antagonistisch gesinnt, wie Muslime überall in der Welt. Ob ein Befund,
der die «genetische Verwandtschaft» von Afridi Paschtunen und den Juden
Israels bestätigen würde, an dieser Einstellung etwas ändern könnte,
wollte der Wissenschaftler nicht sagen.
Die
Paschtunen-Theorie veranlasste derweil die Leser der israelischen
Zeitung «Haaretz» zu allerhand Gedankenakrobatik. So spottet in den
«Talkbacks» der Zeitung ein «Israeli Scientiest» aus Tel Aviv über das
Forschungsvorhaben und führt von sich aus weitere «Beweise» für die
Verwandtschaft zwischen den Taliban und Israels Juden an: «Mosche Dayan
(früherer Armeegeneral Israels - d. Red.) hatte ein Auge, Mullah Omar
(ein Talibanführer - d. Red.) hat ein Auge. Der zweithöchste
Taliban-Kommandeur heißt Rabbani, ein Nachfahre eines Rabbiners?» Der
Leser fragt: «Könnte man das Geld für die Forschung nicht lieber für die
20 Prozent unter der Armutsgrenze lebenden Israelis ausgeben?» Der
Leser «Jewish Roots» denkt die politische Dimension der Forschung weiter
und fragt: «Heißt das, dass Israel den Taliban nun das Recht auf
Rückkehr anbietet?». Eine Note von Ernsthaftigkeit bringt der Leser
«Sceptic» in die Debatte und verweist auf die Arbeiten des Mediziners
Avshalom Zoosman-Diskin: «Die verschiedenen jüdischen Bevölkerungen sind
zuallererst genetisch mit den Völkern ihrer Umgebung verbunden.
Mischehen und Massenkonversionen haben zudem eine klare, genetische
Verbindung der verschiedenen jüdischen Bevölkerungen untereinander
zerstört, falls so eine jemals bestanden hat.»
500 Jahre ohne Inzest?
Über
einen anderen unglaublichen Fund aus dem Bereich der «jüdischen
Genforschung» berichteten die Medien Anfang Januar. Eine Genanalyse
unter nordportugiesischen Kryptojuden soll erwiesen haben, dass es eine
abgeschottet lebende, jüdische Gemeinschaft irgendwie fertig gebracht
hat, ihre genetische Identität über Jahrhunderte hinweg zu bewahren. Und
das ganz ohne Inzucht! Wissenschaftler versuchen nun zu verstehen, wie
diese Juden es geschafft haben können, einem Schicksal zu entgehen, das
die kleinsten, geschlossen-jüdischen Gemeinschaften weltweit begleitet
und beunruhigt: geistige und körperliche Behinderungen.
Die
aktuelle Studie von Forschern der portugiesischen Universitäten von
Porto und Coimbra zeigte, dass Juden aus der Gegend von Bragança den
Juden aus Nahost genetisch näher stehen als ihrem portugiesischen Umfeld
- selbst noch nach über 500 Jahren im Land. Dies soll sich bei einer
Analyse des Y-Chromosoms herausgestellt haben, das ausschließlich vom
Vater an den Sohn weitergegeben wird. Auch bei den Juden von Belmonte,
einer Kleinstadt südlich von Bragança, soll diese genetische
Übereinstimmung beobachtet worden sein. Allerdings zeigte die Genanalyse
dort einen dramatischen Rückgang erbbiologischer Vielfalt, was auf
Inzest hindeutet.
«Alle kleinen Genpools tendieren
dazu, an Vielfalt zu verlieren. Aber die Gemeinden in der Gegend von
Bragança haben es tatsächlich geschafft, eine sehr hohe Diversität
aufrechtzuerhalten und das bei einer relativ kleinen, nicht-jüdischen
Introgression (Einführung von Genen einer Population in den Genbestand
einer anderen durch wiederholte Kreuzung und Rückkreuzungen - d. Red.)»,
erläuterte der an der Forschung beteiligte Genetiker Antonio Amorim von
der Universität Porto. In der kürzlich von Amorims Team im «American
Journal of Physical Anthropology» veröffentlichten Studie wurden die
väterlichen Abstammungslinien von 57, nicht miteinander verwandten,
jüdischen Männern aus Bragança und Umgebung untersucht. Die Gemeinde
wird auf bestenfalls ein paar Hundert Mitglieder geschätzt. «Die
Ergebnisse haben mich gleich zweifach überrascht», gestand Amorim
gegenüber der «Haaretz» in Hinblick auf das niedrige Inzestniveau und
die Bewahrung der «jüdischen Gene».
«Diese Ergebnisse
können nur durch die Annahme erklärt werden, dass die effektive
Populationsgröße wesentlich größer ist, als sie auf den ersten Blick
scheint», schloss Amorim, «oder dadurch, dass eine bestimmte
Fortpflanzungsstrategie vorhanden ist, die den Rückgang von männlichen
Abstammungslinien verringert, ohne dabei jedoch das Einführen von
nicht-jüdischem, männlichem Material völlig zu unterbinden.» Ob dieser
haarsträubenden Erklärungsversuche Amorims frotzelten bereits skeptische
Beobachter der portugiesischen Genstudie, ob hier nicht «am Ende noch
Parthenogenese (eingeschlechtliche Fortpflanzung - d. Red.) eine Rolle
gespielt» haben könnte.
Suche nach «Verlorenen Stämmen»
Das
Forscherteam in Portugal kündigte indes weitere Untersuchungen an und
will nun klären, wie es die Kryptojuden bei über vier Jahrhunderten
religiöser Unterdrückung fertig gebracht haben könnten, Inzest zu
vermeiden. Derzeit wartet man noch auf die Analysen der weiblichen
Abstammungslinien. In der Region um Bragança siedelten sich seit 1187
Juden an. Die meisten kamen jedoch erst mit der Vertreibung aus Spanien
1492 und dem durch die christliche Inquisition erlassenen
«Alhambra-Edikt». In Portugal durften Juden nur bleiben, wenn sie zum
Christentum konvertierten. Im Geheimen fuhren ganze Gemeinden aber fort,
ihrem jüdischen Glauben weiter anzuhängen, daher die Bezeichnung
«Kryptojuden».
Portugal sieht sich momentan einer
Welle von Bekehrungen tausender seiner Einwohner gegenüber, die glauben,
Nachfahren der Kryptojuden zu sein. Unterstützt werden die Menschen
dabei in vielen Fällen von der Organisation «Shavei Israel» («Rückkehrer
Israels»). «Die aktuelle Studie zeigt, dass die vor über 500 Jahren
zwangskonvertierten Juden in Portugal gewaltige Anstrengungen in Kauf
nahmen, um ihre jüdische Identität im Geheimen aufrechtzuerhalten und
viele, darauf deuten zumindest die Ergebnisse der Studie hin, heirateten
nur untereinander», meint der Gründer von «Shavei Israel», Michael
Freund. Also doch Inzest?
Die religiös-politische
Motivation von «Shavei Israel» ist offensichtlich. Die Organisation hat
sich die «Suche nach den «zehn verlorenen Stämmen Israels» zur Aufgabe
gemacht und sucht vor allem auf der iberischen Halbinsel und in
Lateinamerika nach Nachkommen der Kryptojuden. Sie will Menschen mit
jüdischen Vorfahren, die sich in ihrem nichtjüdischen Umfeld «kulturell
assimiliert» haben, zum Judentum zurückbringen. Kritiker werfen der
Organisation missionarische Tätigkeit vor, was von «Shavei Israel»
jedoch abgestritten wird. Inwieweit «Shavei Israel» an einer
Finanzierung der seltsamen Studie in Portugal beteiligt ist, konnte die
«Jüdische Zeitung» bis Redaktionsschluss nicht in Erfahrung bringen.
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